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Unter dem Schlagwort „Landwirtschaft 4.0“ hat ein Hype den Agrarsektor erfasst – dem „digitalen Bauern“ soll die Zukunft gehören. Die Landwirte sehen das jedoch mit gemischten Gefühlen, meint der Agrarjournalist Dietrich Holler.

Langsam schwebt die Drohne über den Acker. Der Landwirt steuert konzentriert das Fluggerät und kommentiert mit sonorer Stimme, dass er Flächendaten mittels Sensoren an dem fliegenden Vehikel erfasse. Den Nutzen der daraus erstellten Info preist der Bauer als wichtige Erkenntnis.

Zahlreiche Videos mit exakt diesem Inhalt kursieren im Netz. Ihnen allen ist eines gemeinsam: Das große Versprechen, dass die digitale Landwirtschaft effizienter ist, ökonomische und ökologische Ressourcen schont. Nicht nur im Ackerbau, sondern auch Stall. Längst ermitteln Bauern das Verhalten, die Futteraufnahme und Leistung ihrer Nutztiere mit digitalen Systemen. Der Futtertrog wird über das Smartphone gesteuert.

Die Landwirte verfügen über wertvolle Instrumente, mit denen sie den Anbau von Nutzpflanzen und die Tierhaltung in einer nie geahnten Weise managen können. Interessant ist weniger, ob und wie der einzelne Landwirt zum digitalen Bauern mutiert. Spannender ist die Frage: Wer kennt die Daten vieler Landwirte?

 Impuls für Digitalisierung kommt nicht aus der Landwirtschaft

Der Impuls für die Digitalisierung kommt nicht aus der Landwirtschaft. Die Lieferanten und Kunden der Bauern, bespielweise Agrartechnik-Hersteller, Saatgut-Unternehmen, Futtermittel-Lieferanten und Agrarhändler, bieten die neue Technologie mit all ihren Facetten an.  Konkurrierende und kompatible Systeme sind am Markt.

Wird der landwirtschaftliche Unternehmer zum austauschbaren Glied?

Umfassende Lösung erfordern das Know-how weniger Entscheider. Und genau an diesem Punkt steht die Agrarwirtschaft vor einer Grundsatzfrage: Bestimmt der landwirtschaftliche Unternehmer künftig über seinen Betrieb oder ist er lediglich austauschbareres Glied einer zentral gesteuerten Produktions- und Lieferkette. Letztgenanntes bedeutet „vertikale Integration“ und diese ist nur mit viel Kapital möglich, das, wie die Digitalisierung, nicht aus der Landwirtschaft kommen würde.

Seitens des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) wird immer lauter eine vertikal integrierte Agrarproduktion gefordert. Aus Sicht des LEH ist das nicht anderes als die „Handelsmarke“ konsequent durchgesetzt.  Erst wird die Nahrungsmittelindustrie auf das „Branding“ der Handelsmarken eingenordet und anschließend die Urproduktion virtuell übernommen. Die komplett digitalisierte Landwirtschaft wäre der ideale Hebel für diesen Durchgriff. Die Produktionsrisiken im Stall und auf dem Acker würden allerdings bei den anonymisierten Erzeugern verbleiben. Wer da nicht mitkommt, dem wird „geholfen“.  Schöne neue Landwirtschaft.

Unter den Bauern macht sich zunehmend Unmut breit, und der ist angebracht. Ländliche Räume sind mehr als ein „digitalisierter Produktionsstandort“. Soziale, wirtschaftliche und ökologische Verantwortung vor Ort verträgt sich nicht mit einer auf vermeintlich übergeordnete Effizienzziele ausgerichteten Landwirtschaft. Neuen Technologien gegenüber sind die Erzeuger offen, aber das ist kein Selbstzweck. Digitalisierung ist nur dann Fortschritt, wenn sie den Bauern unternehmerische Autonomie ermöglicht und nicht dazu dient eine gesamte Branche zu kontrollieren und regulieren.

Dieser Beitrag ist am 02.12.2016 in EURACTIV erschienen