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In der deutschen Tierhaltung ist für Alois Gerig der Zenit überschritten. Zumindest quantitativ. Nach Ansicht des CDU-Bundestagsabgeordneten sollten sich die Erzeuger stärker auf den heimischen Markt konzentrieren.
An „Leitbildern“ für die Landwirtschaft mangelt es nicht. Haben Sie eines und braucht man das überhaupt?

Alois Gerig: In der politischen Debatte kursieren in Tat sehr unterschiedliche Leitbilder. Mein Leitbild ist, unabhängig von der Größe, eindeutig der familiengeführte Betrieb. Vielversprechend ist die Kooperationen mit Kollegen – ein hervorragendes Modell, das die Lebensqualität und den wirtschaftlichen Erfolg fördern kann. Mit Sorge sehe ich, dass immer mehr Flächen in die Hand von Investoren geraten. Große Gesellschaften haben die Landwirtschaft als Spekulationsobjekt erkannt und keinen Bezug zu dem Umfeld vor Ort. Damit habe ich meine Probleme, denn es steht nicht mehr der Landwirt mit seiner Leidenschaft für den Betrieb und seinem Engagement im ländlichen Raum im Vordergrund.

Die Tierhalter unter den Familienbetrieben stehen besonders und mehrfach unter Druck – ökonomisch, gesellschaftlich und durch eine zunehmend politisch regulierte Produktion.

Alois Gerig

Alois Gerig (CDU) ist Vorsitzender des Bundestagsauschusses für Ernährung und Landwirtschaft. In dem Gremium steht laut Gerig auch mit mittlerweile sechs Fraktionen „die Sacharbeit im Mittelpunkt“.

Gerig: Weiter zu produzieren wie jeher, ist sicher keine Lösung. Die Landwirte haben sich schon immer neuen Herausforderungen gestellt und die Produktion weiterentwickelt. Man muss nur vergleichen, wie Tiere vor einigen Jahrzehnten gehalten wurden und was heute der Standard ist. Es hat sich sehr viel zum Positiven gewandelt. Den Tieren geht es in den modernen Ställen, verglichen mit früher, wesentlich besser. Für bessere Qualität und mehr Tierwohl brauchen wird in der Produktionskette mehr Rücksichtnahme und Verständnis füreinander – vom Landwirt über den Einzelhandel bis zum Verbraucher.

Steigt, sinkt oder stagniert die Zahl der Nutztiere in Deutschland binnen der kommenden fünf Jahre?

Gerig: Die Bestände an Nutztieren dürften mindestens leicht zurückgehen.

Und wie sieht es dann mit dem Export aus?

Gerig: Starke Zuwächse erwarte ich nicht. Wir haben gut damit zu tun, die Selbstversorgung zu gewährleisten. Es ist wünschenswert, dass die deutsche Landwirtschaft sich mit ihren hohen Standards auf dem heimischen Markt gegenüber Importen positiv abgrenzt.

Das wäre eine nationale Lösung: Muss es eine Gemeinsame EU-Agrarpolitik geben?

Gerig: Ja, auf jeden Fall. Alleine schon wegen der Förderung. Diese macht in vielen Betrieben ein Großteil des Einkommens aus. Landwirte brauchen dafür kein schlechtes Gewissen zu haben, denn sie erbringen wichtige Leistungen: Unsere Bäuerinnen und Bauern erzeugen sehr gute und bezahlbare Lebensmittel und sorgen darüber hinaus auch für den Erhalt unserer vielfältigen Kulturlandschaft. Deshalb ist es richtig, die Landwirtschaft auch in Zukunft zu fördern.

Wenn die Direktzahlungen der ersten Säule so unumstößlich sind, fördert das nicht die Fantasie und Kreativität der Landwirte, mehr Mittel aus der zweiten Säule zu erlangen?

Gerig: So pauschal stimme ich dem nicht zu. Mit mehr Kreativität und Fantasie könnte aber möglicherweise der eine oder andere Fördertopf besser durch die Landwirtschaft genutzt werden. Das Leader-Programm ist dafür ein Beispiel: In den Regionalgruppen sind viel zu wenig Landwirte, obwohl die häufig gute Ideen haben. Schwieriger ist es mit der zweiten Säule, weil dort Programme über die Bundesländer aufgelegt werden. Bei uns in Baden-Württemberg ist es beispielsweise für die Landwirte interessant, über eine fünfgliedrige Fruchtfolge mehr Förderung aus der zweiten Säule zu erhalten. Bauern und ihre Berater wissen, wie das geht. Ich plädiere in Berlin wie in Brüssel dafür, dass in der zweiten Säule die Landwirtschaft Priorität erhält. Über die Mittelvergabe wird auf regionaler und lokaler Ebene entschieden. Die Mittel der Gemeinsamen Agrarpolitik sind Bauerngelder und müssen auch in der Landwirtschaft ankommen.

Das dürfte nicht ganz einfach werden: Die Hoheit über die agrarpolitische Debatte haben die Nicht-Regierungsorganisationen als professionelle Landwirtschaftskritiker übernommen.

Gerig: Wenn die Lebensmittelproduktion aus Deutschland verschwindet, will es am Ende niemand gewesen sein. Dabei ist doch klar: Nur durch eine heimische Landwirtschaft kann gewährleistet werden, dass unsere Lebensmittel nach hohen Standards erzeugt werden. Wird die Landwirtschaft permanent an den Pranger gestellt, überlegen junge Leute sehr genau, ob sie einen landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen. Deshalb müssen wir auch in Zeiten, in denen die Supermarktregale voll sind, den Menschen vermitteln, wie wichtig es ist, unsere leistungsfähige Landwirtschaft zu erhalten. Neben der Politik sehe ich auch die Branche gefordert, Überzeugungsarbeit zu leisten und Kampagnen entgegenzutreten.

Wie verläuft die Konfliktlinie im Bundestagsauschuss für Ernährung und Landwirtschaft angesichts der Meinungsvielfalt von sechs Fraktionen?

Gerig: Wir im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sind nicht alle einer Meinung, was erwartungsgemäß zu lebhaften Debatten führt. Da der Ausschuss nicht-öffentlich tagt, steht nicht die öffentliche Profilierung, sondern die Sacharbeit im Mittelpunkt.

Das Gespräch führte Dietrich Holler, vox viridis, Berlin