Hans-Günter Henneke
Hans-Günter Henneke ist in einem landwirtschaftlichen Betrieb in Niedersachsen aufgewachsen. Der promovierte Jurist und Honorarprofessor der Universität Osnabrück leitet als geschäftsführendes Präsidialmitglied den Deutschen Landkreistag, die Interessenvertretung der 294 deutschen Landkreise. Henneke ist Vorsitzender des Sachverständigenrates für ländliche Entwicklung im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.
Über vermeintliche urbane Eliten und das wahre Leben auf dem Land kann Hans-Günter Henneke so richtig in Fahrt kommen. Als Hauptgeschäftsführer des deutschen Landkreistages und Landwirtssohn weiß er genau, wovon er redet. Ländliche Räume können etwas auf die Beine stellen. Man muss sie nur lassen.
Henneke: Wir beklagen uns rein gar nicht. Alleine schon in Zahlen betrachtet können die ländlichen Räume einiges bieten: mehr als die Hälfte der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, rund zwei Drittel der Handwerkleistungen sowie zwei Drittel der Handwerksbetriebe. Die ländlichen Räume tragen etwa die Hälfte zur deutschen Bruttowertschöpfung bei. Das Bauhauptgewerbe erbringt zwei Drittel seiner Leistungen in ländlichen Räumen. Die Landkreise fühlen sich also insgesamt betrachtet keineswegs abgehängt – der springende Punkt ist aber, dass das so bleiben soll. Zudem haben in der Tat manche Gebiete Probleme, demografisch und wirtschaftlich.
Henneke: Für das Gegenteil gibt es hervorragende Beispiele wie das Emsland oder Franken-Hohenlohe. Das Emsland war früher eine kaum erschlossene Moorlandschaft. Heute kann die Region unter anderem eine international tätige, hochinnovative Werft sowie erfolgreiche mittelständische Lebensmittelhersteller vorweisen. Technikunternehmen aus Franken-Hohenlohe haben als Automobilzulieferer den Weltmarkt erschlossen. Ein weiteres Beispiel ist Südwestfalen als Deutschland zweistärkste Wirtschaftsregion. 54 Prozent der Wertschöpfung im produzierenden Gewerbe werden in ländlichen Räumen erwirtschaftet – das müssen wir immer wieder deutlich betonen.
Henneke: Es sind zunächst einmal Beispiele aus Landkreisen, die früher arm waren. Durch Fleiß und Können sind sie über Generationen zu dem geworden, was sie heute darstellen. Staatliche Rahmenbedingungen und zeitlich beschränkte Wirtschaftsförderung können helfen, bilden aber keine Garantie. Entscheidend ist, dass vor Ort der Wille besteht, etwas anpacken zu wollen. Dafür sind Unternehmer genauso wichtig wie Mitarbeiter. Warum steht denn im Emsland eine große Werft? Weil alle vom Arbeiter bis zum Topmanager bereit sind, dort zu arbeiten und mit anzupacken. Selbst wenn sie woanders etwas mehr verdienen würden, aber sicherlich höhere Lebenshaltungskosten hätten.
Henneke: Die Zahlen müssen Sie relativ betrachten. In die Gemeinschaftsaufgabe fließen zur Verbesserung der Agrarstruktur pro Jahr 640 Millionen Euro an Bundesmitteln. Zum Vergleich: Insbesondere in die Sanierung maroder Schulgebäude, deren künftige Verwendung ungewiss ist, hat der dafür an sich unzuständige Bund erst kürzlich sieben Milliarden Euro gesteckt. Alle Förderungen, einschließlich jener für ländliche Räume, muss immer wieder auf den Prüfstand. Mit der Gießkanne zu verteilen, bringt nichts. Förderung darf nie auf Dauer angelegt sein. Das lähmt oder verhindert sogar Initiative und dauerhaft tragfähige Strukturen…
Henneke: Die Kommunen benötigen einerseits mehr gestalterischen Spielraum und müssen anderseits verantwortlich sein für ihre Entscheidungen. Grundsätzlich sind die deutschen kommunalen Strukturen leistungsfähig, wenn auch mit regionalen Unterschieden. Steuerlich ist es wichtig, dass die Kommunen in der Lage sind, Mittel zu erwirtschaften und zu verwenden. Es geht um Verantwortlichkeit für Erfolg und Misserfolg. Daher halte ich wenig von Instrumenten wie „Altschuldenhilfen“ und großmütigen Finanzspritzen aus Berlin. Wir dürfen Geld nicht in „Solidaritätsaktionen“ verschwenden, sondern für eine anständige kommunale Grundfinanzierung sorgen.
Henneke: Die Politik muss unterscheiden zwischen dem, was der Staat tut und dem, was im Staat getan wird. Im Staat ist eine vernünftige Finanzverteilung fundamental. Es wird jedoch noch immer davon ausgegangen, dass in größeren Städten mehr öffentliches Geld pro Einwohner notwendig ist, als in ländlichen Kreisen. Dieses vom Steuerrechtler und Politiker Johannes Popitz entwickelte Prinzip gilt seit 1932 und ich halte es für Mumpitz. Einige öffentliche Aufgaben sind in ländlichen Räumen aufwändiger und teurer zu organisieren als in den Städten – und umgekehrt. Folglich muss in der öffentlichen Finanzausstattung pro Einwohner derselbe Betrag angesetzt werden. Auf europäischer Ebene existieren erhebliche Unterschiede und gleiche Lebensverhältnisse sind weder möglich noch anstrebenswert, gleichwertige dagegen schon.
Henneke: Ja, das ist so. Heute fordern einige zwar eine neue „Agrarwende“, doch es sind die gleichen, die noch vor Jahren „Energie- und Agrarwende“ miteinander kombinieren wollten. Und wozu hat das geführt? Wenn ich in meiner nordwestdeutschen Heimat unterwegs bin, sehe ich riesige Maisfelder für Biogasanlagen, statt die vielgliedrige Struktur wie früher. Und als Landwirtssohn weiß ich, wovon ich rede. Ob all die Windräder das mit ihnen verbundene energiepolitische Versprechen einlösen, muss sich noch zeigen.
Das Gespräch führte Dietrich Holler, vox viridis, Berlin