Die Landwirtschaft verfügt über eine wesentlich bessere Eigenkapitalausstattung als andere Branchen, erläutert Rainer Spiering. Das gelte es ohne Emotionen zu betrachten. Der SPD-Politiker möchte die EU-Förderpolitik neugestalten.
Sie fordern das „Ende des Giesskannenprinzips“ in der EU-Agrarpolitik und wollen kleine und mittlere Betriebe stärker fördern. Seit wann ist Nachhaltigkeit eine Frage der Betriebsgrösse?
Rainer Spiering: Betriebsgröße ist in der Förderpolitik kein absolut taugliches Kriterium. Mehrere hundert oder tausend Hektar pro Betrieb sind eine Ansage. Das entspricht in allen Regionen Deutschlands angesichts der Bodenpreise einem stattlichen Vermögen.
Rainer Spiering
Viehbestände senken oder Nährstoffmanagement verbessern: Rainer Spiering fordert ein Umdenken in den Tierhaltungszentren.
Der Boden ist für die Landwirte zunächst einmal ein Betriebsmittel.
Spiering: Landwirtschaft bedeutet aus politischer Perspektive, dass ich den Landwirt erst mal so betrachten muss, wie jeden anderen Wirtschaftenden. Der Landwirt verfügt durch sein Flächeneigentum über eine, verglichen mit dem Handwerk oder anderen Branchen, erhebliche Eigenkapitalausstattung. Die deutsche Landwirtschaft ist mit weit mehr als 70 Prozent Eigenkapital ausgestattet. Das müssen wir ohne Emotionen betrachten.
Zu dieser Sachlichkeit zählt, dass auf allen Hektaren die gleichen Förderregeln gelten.
Spiering: Nehmen Sie doch nur das Beispiel „Greening“. Das hat nicht funktioniert, weil es immer wieder ökonomische Anreize schafft, die nicht richtig wirken. Der Föderalismus prägt die Landwirtschaft wie wohl keine zweite andere Branche. Die Hoheit in der Steuerung der Landwirtschaft liegt in den Händen der Bundesländer. Das macht es für die Bundesrepublik in der EU-Agrarpolitik nicht leichter. Die Probleme der Landwirte in Bayern sind ganz andere als jene der Landwirte in Mecklenburg-Vorpommern. Deshalb ist das Gießkannenprinzip nicht richtig sprich die reine Flächenförderung hat versagt.
„Das Greening hat nicht funktioniert.“
Die Betriebsgrösse soll berücksichtigt werden, die regionale Situation ebenfalls – jetzt machen Sie es noch komplizierter.
Spiering: Einfach ist es tatsächlich nicht, aber das sollte einen Politiker nicht abschrecken. Ich versuche es mit einem Beispiel. Die Region Weser-Ems kann weder ausreichend Futter für die dortigen hohen Viehbestände produzieren, noch die Nährstoffüberschüsse vernünftig managen. Das kann nicht sein. Entweder klappt das mit dem Nährstoffmanagement in Weser-Ems oder die Viehbestände müssen runter. Letzteres dürften die Landwirte wohl kaum wollen. Und in dem Punkt kommt die Gemeinsame Agrarpolitik mit regionaler Ausprägung zum Zuge. Es ist besser, in Weser-Ems statt der Fläche diejenige neue Technologie zu fördern, mit der sich Nährstoffe in den Griff bekommen lassen.
Das alles erkennen Sie in den Vorschlägen von EU-Agrarkommissar Phil Hogan?
Spiering: Das kann ich durchaus erkennen. Das Papier von Hogan gibt das her. Die EU gibt Ziele vor und auf nationale Ebene wird entschieden, wie diese Ziele erreicht werden, unter anderem in der Nachhaltigkeit.
Und die wollen Sie mit Technologie nach vorne bringen. Fördert die EU dann Technologie-Anbieter statt der Landwirtschaft?
Spiering: Natürlich die Landwirtschaft, denn so werden die Erzeuger in die Lage versetzt, das erwähnte Nährstoffproblem zu lösen. Das Prinzip, die Gülle über Wasserentzug in einen leichter zu handhabenden Mineraldünger zu wandeln, ist nicht neu. Dafür hat die sozialdemokratische niedersächsische Landesregierung bereits in den neunziger Jahren in Weser-Ems technologische Lösungen präsentiert. Die Landwirte waren nicht bereit, einen ausreichenden Obolus dafür zu entrichten. Das war falsch und daher müssen die längst bekannten Probleme heute gelöst werden, möglichst mit öffentlicher Förderung.
Es gibt nicht nur Weser-Ems. In vielen Betrieben mit mäßigen Standortbedingungen entsprechen die Direktzahlungen dem Betriebsergebnis oder sind noch geringer: Soll dort künftig Landwirtschaft betrieben werden oder nicht?
Spiering: Ich schreibe keinem Betrieb vor, wo und wie er wirtschaften soll. Im Rahmen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik stellt sich uns die Frage, welche Form der Landwirtschaft wir in Deutschland und in der EU in Zukunft unterstützen wollen und ob an Fläche geknüpfte Direktzahlungen der richtige Weg sind, um eine nachhaltige und zukunftsfeste Landbewirtschaftung zu gewährleisten. Ich meine, nein. Wir müssen ein Subventionssystem schaffen, das Leistungen für mehr Umwelt- und Klimaschutz, für eine gesellschaftlich akzeptierte Tierhaltung und die Stärkung ländlicher Räume honoriert. Unser erklärtes Ziel dabei ist es, dass die Landwirte von ihrer Arbeit leben und anstehende Herausforderungen meistern können.
Das Gespräch führte Dietrich Holler, vox viridis, Berlin