Rainer Spiering erkennt in der Digitalisierung der Landwirtschaft viele Vorteile. Der SPD-Bundestagsabgeordnete hält jedoch wenig von einer rein produktionstechnischen Sichtweise und lehnt geschlossene Systeme ab.
Der Hype um die Digitalisierung scheint grenzenlos. Ist die Euphorie berechtigt, oder geht es auch eine Nummer kleiner?
Rainer Spiering: Es geht um die Sicherung der Ernährung der Weltbevölkerung, bei gleichzeitig notwendiger Schonung der Umwelt und des Klimas. Landwirtschaft ist nur erfolgreich, wenn sie gesunde Produkte hervorbringt, die auf umweltfreundliche und tiergerechte Weise entstehen. Wir benötigen Wissen über die Ansprüche der Tiere und Pflanzen, den Umweltschutz und die Bodenbeschaffenheit. Smart Farming bietet diese Möglichkeiten. Es kann die Landwirtschaft umwelt- und tierfreundlicher machen und der Entfremdung zwischen Berufsstand und Bevölkerung entgegenwirken.
Euphorie oder Hype sind daher übertriebene Begrifflichkeiten, aber aufgrund der Novellierung des Düngepaketes ist die Digitalisierung bis spätestens 2023 für alle Landwirte notwendig.
Mehr Effizienz als Schlüssel zu verbesserter Nachhaltigkeit: Hält die Digitalisierung in der Landwirtschaft dieses Versprechen?
Rainer Spiering
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Spiering stammt aus Niedersachsen. Er ist Mitglied in den Ausschüssen für Ernährung und Landwirtschaft sowie Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung.
Spiering: Um die Stoffströme eines Hofes zu bilanzieren, bedarf es digitaler Hilfsmittel. Unser Vorschlag ist eine anwenderfreundliche und unternehmensunabhängige IT-Plattform als Datenmanagementsystem für Landwirte. Die Landwirte erhalten so Zugang zu allen relevanten Daten, wie Wetter-, Boden- und andere Geodaten, die von den Landwirtschaftsgeräten gesammelt, analysiert, ausgewertet und dokumentiert werden.
Eine Überdüngung kann so vermieden, die Belastung von Böden und Gewässern gesenkt und Kosten minimiert werden. Dies schont Ressourcen, steigert die Nachhaltigkeit und hilft Arbeitsabläufe zu optimieren. Zudem schaffen wir mehr Transparenz entlang der Wertschöpfungskette für die Verbraucherinnen und Verbraucher.
In ländlichen Regionen, und damit bei den landwirtschaftlichen Erzeugern, scheitert vieles am unzureichenden Netzausbau. Wie geht es damit weiter?
Spiering: Die Digitalisierung hat das Potenzial das Leben auf dem Land grundlegend zu verändern und bestehende Versorgungslücken zu schließen. Die Voraussetzung ist ein leistungsfähiger, flächendeckender Ausbau des Breitbandnetzes. Zukünftig heißt es nicht mehr „Wachse oder weiche“, sondern „Digitalisiere oder weiche“.
Wir setzen auf schnelle und störungsfreie Technologien, die die Anforderungen der Zukunft erfüllen können. Eine einseitige Fokussierung auf den Ausbau von abgeschirmten Kupferleitungen genügt nicht. 2014 lag Deutschland in einem Vergleich von 15 europäischen Ländern beim Glasfaser-Ausbau an letzter Stelle. Der zügige Ausbau der Glasfasernetze ist daher erforderlich. Das hierfür bestehende Bundesprogramm ist fortzusetzen und an die digitalen Herausforderungen anzupassen.
Landwirte sind Unternehmer und dazu gehört ein „Betriebsgeheimnis“: Ist das für den „gläsernen“ Landwirt noch möglich?
Spiering: Die Landwirte gewinnen Vertrauen in die Digitalisierung, wenn die Rechtssicherheit, ein guter Daten- und Verbraucherschutz sowie die Netzneutralität gewährleistet sind. Daher muss eine IT-Plattform für Landwirte unabhängig von global handelnden Unternehmen aufgebaut sowie die Datensicherheit und der Datenschutz der Nutzer garantiert werden. Einen Einblick in die Daten darf nur der jeweilige Landwirt erhalten, dem die Fläche gehört. Eine komplett staatliche Lösung ist ebenso wenig zielführend, wie eine rein kommerzielle Lösung.
Wie beurteilen Sie den „Digital-Status“ der deutschen Landwirtschaft im internationalen Vergleich?
Spiering: Jeder fünfte Landwirtschaftsbetrieb nutzt heute digitale Anwendungen. Deutschland ist in Sachen Klimaschutz und Ressourceneffizienz Vorreiter innerhalb der EU und gehört in der Sparte der Landmaschinentechnologie zur Weltspitze. Unser Potenzial im Bereich zuverlässiger und energieeffizienter Elektronik und Sensorik gilt es zu nutzen. In den USA ist der Einsatz von autonomen Multi-Fahrzeug-Systemen sowie Farm-Management-Systemen verbreiteter.
Die Digitalisierung der Landwirtschaft folgt in Deutschland nicht rein ökonomischen Regeln, sondern hat Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit sowie der Nachhaltigkeit, des Umwelt-, Tier- und Verbraucherschutzes, als auch gesellschaftliche Aspekte im Blick. Dies schafft ein Gegengewicht zu den eher in sich geschlossenen Systemen von Google und Monsanto, die überwiegend produktionstechnologisch orientiert sind.
Das Interview führte Dietrich Holler, vox viridis, Berlin
Das Gespräch ist am 18. August 2017 im DLG-Mitgliedernewsletter erschienen