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Kirsten Tackmann hält Ökologie und Tierschutz für wichtige Aspekte der Landwirtschaftspolitik. Die agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke warnt aber davor, das Thema „soziale Gerechtigkeit“ in der Agrarpolitik zu vernachlässigen.

Die Legislativvorschläge zur EU-Agrarpolitik sind auf dem Tisch: Die Linke applaudiert nicht, oder?

Kirsten Tackmann: Es wäre ein Paradigmenwechsel in der Gemeinsamen Agrarpolitik notwendig gewesen, um der vielfach berechtigten Kritik an den Direktzahlungen zu begegnen. Die Legitimation der Direktzahlungen muss stabilisiert werden. Mit dem Legislativvorschlag ist das nicht gelungen. Für die Landwirtschaft ist das ein Pyrrhussieg. Ein großer Teil des öffentlichen Geldes ist gesichert, aber das war es dann auch schon. Für die ostdeutschen Strukturen kommt hinzu: Wir als Linke wollen außerlandwirtschaftliche Investoren von der Förderung mit öffentlichen Mitteln ausschließen. Es gibt keinen vernünftigen Grund deren Geschäftsmodell zu unterstützen. Das Geld wäre in ortsansässigen Betrieben besser aufgehoben. Die Anrechnung von Arbeitskräften in der Förderung ist das Mindeste, was geschehen muss. In der Förderpolitik werden Betriebsstrukturen gegeneinander ausgespielt: Klein gegen groß, Ost gegen West und Nord gegen Süd. Die es eigentlich treffen sollte, können sich bei den Themen Kappung und Degression rasch durch Betriebsteilung entziehen.

Kirsten Tackmann

Agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke

Gemeinwohl als Maßstab: Kirsten Tackmann wehrt sich gegen die „schleichende Monopolisierung“ des Produktionsfaktors Boden. Die Flächen bilden für die Agrarsprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke eine entscheidende „Lebensgrundlage“.

Die aktuelle EU-Agrarpolitik trägt die Handschrift des irischen EU-Agrarkommissars Phil Hogan. Wollen europäische Agrarpolitiker erst mal möglichst viel für ihr jeweiliges Heimatland rausholen?

Tackmann: Das ist mit Phil Hogan leider so und wird nicht dazu beitragen, die Gegensätze zwischen den Mitgliedsstaaten zu befrieden. Bei Herrn Hogans Vorgänger Dacian Ciolos hatte ich nicht den Eindruck. Er ist mit seinen Plänen allerdings vom Europäischen Parlament oder vielmehr dessen Mehrheiten rund um den Konservativen Albert Deß ausgebremst worden. Die Linke hat sich positioniert. An ökologische und soziale Kriterien gebundene Direktzahlungen machen Kappung und Degression überflüssig, weil die Forderungen auf jedem Hektar erfüllt werden müssen. Andernfalls unterstützt die EU-Agrarpolitik Investoren, das ist für Die Linke inakzeptabel.

Wie wollen Sie das verhindern?

Tackmann: Ein guter Anfang wäre schon mal eine vollständige Transparenz der Eigentumsverhältnisse – wem gehört die landwirtschaftliche Nutzfläche wirklich? Unsere Fraktion hat einen Antrag in den Bundestag eingebracht, um genau das zu klären. Im Antrag „Für einen transparenten agrar- und forstwirtschaftlichen Bodenmarkt in Deutschland“ fordern wir die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf für eine Eigentümerstatistik der land- und forstwirtschaftlichen Flächen in anonymisierter Form vorzulegen. Der im April 2018 in den Bundestag eingebrachte und im Juni 2018 in die Fachausschüsse überwiesene Antrag verlangt einen differenzierten Gesetzentwurf nach Rechtsformen der Unternehmen, den einzelnen Größengruppen und zusätzlich nach Tochterunternehmen und Anteilseignern. Mit diesen Daten würde es zum großen Erwachen kommen: Die Umverteilung des Bodens in Richtung Investoren ist vor allem in Ostdeutschland viel weiter fortgeschritten als einige denken. In Osteuropa ist sie noch weiter vorangeschritten und ich halte das für hochproblematisch. Eine Lebensgrundlage wird schleichend monopolisiert und das geht nicht.

Klingt fast nach einer bevorstehenden Bodenreform?

Tackmann: Wir dürfen in der Landwirtschaft nicht von Eigentumsstrukturen abhängig werden, die „too big to fail“ sind. Die ortsansässigen Bauern dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen – unabhängig von Betriebsgröße und Standort. Wir als Linke kämpfen für eine dem Gemeinwohl verpflichtete Landwirtschaft. Das umfasst die Ernährungssicherung und den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen.

Das mit dem Ressourcenschutz sagen die Grünen ebenfalls.

Tackmann: Klimaschutz und Tierwohl sind für die Linke sehr wichtig. Aber es muss, auch in der Agrarpolitik, um soziale Gerechtigkeit gehen. Klimaschutz ist für uns ein soziales Thema, denn Arme haben weniger Möglichkeiten zum Schutz vor den Folgen. Es muss um das „Menschenwohl“ gehen. Bei allen ökologischen Ansprüchen an die Landwirtschaft muss klar sein, dass alle, die dort arbeiten genug für sich und ihre Familien erwirtschaften.

Jetzt sind wir fast bei dem Begriff „nachhaltig“ und den kann niemand mehr hören.

Tackmann: Egal wie man es nennt, die Frage ist doch: Wie wollen wir dieses Ziel erreichen? Dafür reicht die Förderpolitik nicht aus. Es muss zusätzlich ordnungspolitisch etwas passieren und da sind wir wieder bei dem Gemeinwohl. Unsere Landwirtschaft muss raus aus der reinen Warenproduktion für globalisierte Märkte. Diese Märkte sind sozial und ökologisch blind. Das hilft auf Dauer weder der Landwirtschaft noch den ländlichen Räumen. Die Landwirtschaft ist mehr als nur ein Rohstofflieferant und ländliche Räume sind mehr als ein Produktionsstandort. Ich habe doch gar nichts gegen Exporte an sich, doch wenn die nur über den möglichst niedrigen Preis und auf Kosten unserer natürlichen Lebensgrundlagen möglich sind, dann ist das eine Sackgasse.

„Marx hat die Grundlagen für Raiffeisen gelegt.“

Über zwei „grosse Genossen“, beide 1818 geboren, wird in diesem Jahr reichlich diskutiert und noch mehr gedacht: Hat Karl Marx oder Friedrich-Wilhelm Raiffeisen mehr für die Landwirtschaft geleistet?

Tackmann: Wenn wir nur über Landwirtschaft reden, dann war es wahrscheinlich direkter Raiffeisen. Aber Marx hat dafür die Grundlagen gelegt. Das Modell der Genossenschaften kommt der ökonomischen Theorie von Karl Marx am weitesten entgegen.

Das Gespräch führte Dietrich Holler, vox viridis, Berlin