Die Tierbestände in den deutschen Intensivregionen müssen laut Friedrich Ostendorff sinken. Auf europäischer Ebene blickt der Agrarsprecher der Grünen-Bundestagsfraktion mit Sorge auf den Zustand der Gemeinschaft.
Blicken Sie bei der Diskussion um das Tierwohl noch durch?
Friedrich Ostendorff: Ja, natürlich. Jetzt werden die Widersprüche erkennbar. Nach einem unserer Fraktion vorliegenden Gesetzentwurf ist die Dreistufigkeit der Initiative Tierwohl, kurz ITW, als Maßstab gedacht. Eine „ITW plus“ mit 30 statt 10 Prozent mehr Platz im Stall soll es nicht geben. Ich habe den Entwurf nochmals angeschaut. Steht viel über Kontrollen drin und wenig, was eigentlich grundsätzlich gemacht werden soll. Wenn wir wirklich mehr Tierwohl haben wollen, müssen die Landwirte massiv in bessere Ställe investieren. Die Bundesregierung plant dagegen eher ein „Tierwohl light“.
Friedrich Ostendorff
„Tierwohl light“ verhindern: Landwirt und Grünenpolitiker Friedrich Ostendorff will Mittel für Bauern statt Werbekampagnen einsetzen.
Wer gibt den Takt in der Diskussion vor: Politik, Landwirte oder Einzelhandel?
Ostendorff: Das ist eindeutig der Lebensmitteleinzelhandel. Für mich geht das Primat der Politik verloren und das ist nicht gut. Ich wäre ja bereit, mit dem Einzelhandel eine Lösung auf den Weg zu bringen, aber dann sagt der Handel wieder, es müsse ein staatliches Label her.
Ist ein Tierwohl-Label überhaupt notwendig?
Ostendorff: Viele Betriebsleiter wollen investieren, aber sie sind verunsichert. Keiner sagt ihnen so recht, wie es weitergehen soll. Es fehlt, anders als in der Zeit von Renate Künast, an klaren Regeln wie beim Bio-Siegel. Das könnte es beim Tierwohl wiedergeben und der Einzelhandel fordert das ebenfalls. Unklar ist, wer die Mehraufwendungen der Landwirte zahlt. Mehr Tierwohl kostet mehr Geld und ich rede nicht von den Werbekampagnen, wie sie Frau Klöckner finanziert. Es geht um Vertrauen. Die Bauern müssen Planungssicherheit für mindestens zehn Jahre haben. Der Elan der Tierhalter ist da. Viele probieren aus, wie sie mehr Tierwohl in die Ställe bringen können.
Sinken die Viehbestände in Deutschland?
Ostendorff: In den Kernregionen der Tierhaltung auf jeden Fall. Wenn irgendwo in einer Region mit wenig Vieh ein neuer Stall geplant ist, sollte der nach den neusten Maßstäben des Tierwohls gebaut sein.
Den Bauern attestieren Sie Elan, aber den Strukturwandel, vor allem in der Schweinehaltung, treiben andere.
Ostendorff: So ist es. Tönnies und der Lebensmitteleinzelhandel geben die Richtung vor. Tönnies hat 150 Sortierungen und wenn es den hundertsechzigsten Markt gibt, übernimmt Tönnies den auch. Donald Trump gibt für die USA den mexikanischen Schweinefleisch-Markt auf und von Tönnies sind dorthin schon die ersten Fuhren unterwegs.
Funktioniert das Modell mit sinkenden Tierbeständen in Deutschland?
Ostendorff: Ein Unternehmen wie Tönnies wird immer versuchen, seine Anlagen in Deutschland voll auszulasten, selbst wenn aus Spanien mit seiner massiven Intensivierung eine massive Konkurrenz droht.
Bietet die vertikale Integration den Machthebel.
Ostendorff: Das habe ich früher mal befürchtet, aber die Schweinehalter können Sie nicht mit den Geflügelhaltern vergleichen. Die Schweinehalter sind über Organisationen wie die ISN selbstbewusst und melden sich zu Wort. Und jemand wie Tönnies, der mir politisch sicher nicht sehr nahe steht, denkt nicht daran, seine Lieferanten in einer vertikalen Integration organisieren zu wollen.
Die deutsche Landwirtschaft samt der Schweinefleisch-Branche hat mit Russland gute Geschäfte gemacht und das ist vorbei.
Ostendorff: Ich habe nichts gegen freien Handel, gerade wenn wie derzeit die Nationalisierung immer mehr um sich greift. Als Politiker kann ich jedoch nicht ignorieren, dass Russland mit seinem Präsidenten Putin völkerrechtswidrig ein Land annektiert hat. Die Weltgemeinschaft kann darüber nicht hinweg schauen.
Immerhin hat Trump das von den Grünen abgelehnte transatlantische Handelsabkommen TTIP vom Tisch gewischt.
Ostendorff: Ich bin für fairen internationalen Handel, zwischen Partnern auf Augenhöhe. Das wäre mit TTIP nicht der Fall gewesen. Das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada ist eine große Chance und ich hoffe sehr, dass alle in Europa das erkennen. Momentan ist das Abkommen vorläufig in Kraft und es bedarf der Zustimmung der nationalen sowie teilweise regionalen Parlamente. Wenn es wirklich eine Europäische Union gibt, muss man sich klar darüber werden, dass die EU und Kanada aufgrund der neuen handelspolitischen Lage von Isolation bedroht sind und gemeinsam ideale Bündnispartner sind.
„In den Visegrad-Staaten herrscht europapolitisches Chaos.“
Haben Sie eben gesagt, „wenn es wirklich eine Europäische Union gibt“?
Ostendorff: Zweifel sind erlaubt, aber ich bleibe überzeugter Europäer. Wir haben Länder aufgenommen, die unsere Europäischen Werte nicht teilen. Das sind für mich die Visegrad-Staaten. Dort herrscht europapolitisches Chaos. Es geht anderes, wie Rumänien zeigt. Das Land hatte 2004 während der EU-Osterweiterung erhebliche Probleme und musste lange daran arbeiten. Präsident Klaus Johannis hat das Land auf einen sehr guten Weg gebracht. Das macht Hoffnung für ganz Europa.
Das Gespräch führte Dietrich Holler, vox viridis, Berlin